The Husserl’s and the Hilbert’s

Thomas Vongehr (Husserl Archives, KU Leuven) recently included the following piece in the Mitteilungsblatt 36 (2013),  pp.15-20, for the friends of the Husserl Archives, and has graciously allowed us to share it with the friends of NASEP as well.  Edmund Husserl’s arrival in Göttingen and his relationship to David Hilbert is an interesting area of research, and this vignette by Dr. Vongehr is sure to enrich that discussion.

Husserl und Hilbert – Familienbeziehungen

Im September 1901 ziehen die Husserls mit ihren Kindern – Elisabeth, Gerhart und Wolfgang – von Halle nach Göttingen. Schnell bemerkt die Mutter, dass in Göttingen ein „ganz anderer Zug im geistigen Leben der Universität als in Halle <herrscht>, u. besonders sind es die Mathematiker (Klein u. Hilbert), die Edmund in ihren Kreis ziehen u. ihn <…> anregen”. Es ist besonders die „tiefe achtungsvolle Freundschaft” ihres Mannes zu David Hilbert, die Malvine Husserl hervorhebt; eine Freundschaft, die, wie sie in ihren Erinnerungen schreibt, von dem „gleichen Ethos einer restlosen Hingabe an sein Werk” motiviert gewesen ist.

Das Wenige, was wir von der Beziehung zwischen Husserl und Hilbert wissen, soll hier zunächst kurz zusammengefasst werden. Danach wird – anekdotenhaft – von einer anderen, kaum bekannten Freundschaft erzählt, nämlich der, die sich zwischen Hilberts Frau, Käthe, und dem jungen Husserl-Sohn, Wolfgang, entwickelte.

Ich hoffe, „recht viel aus Hilberts Darstellungen zu lernen“
Schon Ende 1901 wird Husserl von Hilbert dazu eingeladen, einen Doppelvortrag in der Mathematischen Gesellschaft zu halten.  In seinem Vortrag mit dem Titel „Der Durchgang durch das Unmögliche und die Vollständigkeit eines Axiomensystems” betont Husserl, dass seine und Hilberts mathematischen Intentionen „im wesentlichen in dieselbe Richtung“ gehen. Bei anderer Gelegenheit stellt ihm Hilbert seine Korrespondenz mit Frege zur Verfügung, die Husserl in großen Teilen abschreibt. Im Zusammenhang mit seinen im Sommersemester 1905 abgehaltenen „Philosophischen Übungen zur Einführung in die Hauptprobleme der Philosophie der Mathematik“ zeigt sich Husserl besonders interessiert an der Mitschrift des von Hilbert parallel veranstalteten Seminars über die „Grundlagen des mathematischen Denkens”, die er von einem gemeinsamen Studenten, Dietrich Mahnke, zugeschickt bekommt. Er „hoffe”, so bedankt sich Husserl, „recht viel aus Hilberts Darstellungen zu lernen, wie es ja eigentlich selbstverständlich ist”. Später freut er sich einmal darüber, dass Hilbert „in neuer Weise eine Grundlegung der Mathematik entworfen <habe, und zwar> ganz in phänomenologischem Geiste“.

Hilbert schätzt Husserl; mehrmals setzt er sich für Husserls Karriere ein – wenngleich nicht immer mit Erfolg: So wird Husserls Ernennung zum Ordinarius im Jahr 1905 trotz des von Hilbert initiierten und engagierten Einholens etlicher Sondergutachten abgelehnt. – Seine hohe Meinung von Hilbert und ihr bleibend gutes Verhältnis drückt Husserl in seinen Gratulationsworten zu dessen 60. Geburtstag im Jahr 1922 aus:

<…> in Erinnerung an den menschlich schönen und geistig reichen Verkehr, den ich mit Ihnen durch eine Reihe von Jahren in Göttingen pflegen durfte, allzeit dankbar für das Interesse und Vertrauen, das Sie meinen philosophischen Bestrebungen zu einer Zeit entgegenbrachten, in der sie noch wenig entgegenkommendes Verständnis gefunden hatten.

Bei einem der seltenen Treffen in den späteren Jahren kündigt sich Husserl bei Hilbert als „alter Freund Ihres Hauses“ an und entsprechend kommt dieser ihm „sehr freundschaftlich“ entgegen, wie Husserl 1928 Heidegger berichtet. Mit allerlei guten Ratschlägen – u.a. mit Empfehlungen für eine spezielle Leberkur – versuchen die Husserls Hilbert beizustehen, als sie Ende der 1920er von dessen schwerer Erkrankung erfahren. Kurz vor Husserls Emeritierung in Freiburg versucht Hilbert ihn sogar zur Rückkehr nach Göttingen zu überreden, wo man, wie er schreibt, seine „Wirksamkeit <…> als eine neue Bereicherung unserer Universität begrüßen würde“.

Die charakterlichen Eigenarten des gebürtigen Ostpreußen Hilbert scheint Husserls Frau gut gekannt zu haben; so berichtet sie ihrer Tochter in einem Brief aus dem Jahr 1930 von „Exzentritäten und Paradoxien eines genialen Menschen <,die> nie ins Banale u. Triviale absinken können, sondern immer den Stempel des Ungewöhnlichen tragen“. Es muss ein besonderer Humor gewesen sein, für den Hilbert im persönlichen Umgang berühmt (und berüchtigt) gewesen ist. So kommentierte Hilbert die Lernschwierigkeiten seines Sohnes Franz, der etwa im gleichen Alter wie die Husserl Söhne war, u.a. mit Witzeleien wie „Mein Sohn lernt Mathematik bei seiner Mutter; alles andere hat er von mir“.

„Wolfgangs Bekanntschaft machte ich im Sommer 1902“
Nun lief dieser „achtungsvollen Freundschaft” zwischen den Göttinger Professoren, Husserl und Hilbert, jene andere Freundschaft zeitlich parallel, nämlich die „besondere Herzensfreundschaft” zwischen Husserls Sohn Wolfgang und Käthe Hilbert, der Ehefrau von Hilbert. An ihr, der „Tante Hilbert“, hing Wolfgang „bis zu seinem Tode mit Herzlichkeit und Treue“. Im Folgenden soll auf dieses bescheidene biographische Detail aufmerksam gemacht werden.

Käthe Hilbert erinnert sich:

Wolfgangs Bekanntschaft machte ich im Sommer 1902, als er eines Nachmittags in grauer Lodenjacke mit grünen Klappen an unserer Tür klingelte, im Arm unseren kleinen Hund … Die Jahre vergingen, Wolfgang erzählte mir von seinen Interessen für Tiere und ihre Zerlegung, verbreitete sich über seine künftigen Studien, wurde eingesegnet, machte das Abitur, mir blieb er derselbe teure Freund. Im Sommer 1914 hatte er einen Tagesausflug für uns beide geplant. … Solche Spaziergänge und Ausflüge genossen wir immer ganz besonders und machten sie nie, ohne neue zu planen, vor allem den nach der Sababurg, den Wolfgang so sehr liebte … Wir sollten ihn nicht mehr machen. … Einen Monat später brach der Krieg aus.

Wolfgang und sein zwei Jahre älterer Bruder Gerhart werden im August 1914 zum Kriegsdienst eingezogen; die etwa vier Jahre ältere Schwester Elisabeth leistet Lazarettdienst. Von Kriegsbegeisterung und -ereignissen soll hier aber nicht die Rede sein. Im Februar 1916 schreibt Wolfgang an seine Mutter:

Es ist schön, dass ich so viel Briefe von zu Hause bekomme. Schade, dass Papa mir so selten schreibt. Manchmal bin ich doch etwas traurig und brauche Aufmunterung, im Allgemeinen aber stets guter Dinge. Horaz ist mein steter Genosse. Et fractus illabatur orbis impavidum ferient ruinae – danach will ich handeln. <Selbst wenn der Weltbau krachend einstürzt, treffen die Trümmer ein furchtlos Herz. (Horaz Carmina III,3, 7)>

Am 8. März 1916, einen Tag nach dem 56sten Geburtstag seiner Mutter, fällt Wolfgang bei einem Sturmangriff auf Fort Vaux in der Nähe von Verdun.

„Weinen Sie mit mir, Sie haben auch viel verloren.” (Malvine Husserl an Käthe Hilbert, 28.4.1916)
In Trauer und in ihrem Schmerz um den toten Sohn wendet sich die Mutter mehrmals an Käthe Hilbert. Sie schreibt:

Ihr Verhältnis zu dem geliebten Kind war ja auch ein ganz besonderes, er liebte Sie wie eine zweite Mutter und Sie haben dieses seltene Menschenherz mit seiner Güte, seinem Schwunge, seiner Schlichtheit verstanden. Darum weiß ich, dass Sie mein furchtbares Unglück ganz ermessen können und dass Sie selbst unter diesem Verlust schwer leiden.

Und ein anderes Mal:

Nicht wahr, liebste Frau Hilbert, Sie verstehen es, dass ich mit meinem kummerbeladenen Herzen gerade zu Ihnen komme u. meinem Schmerze seinen Lauf lasse. Es ist ja auch Ihr Wolfgang gewesen, um den ich Tag und Nacht weine. … Wenn Sie einmal für ein paar Tage nach Freiburg kämen, so wäre es mir das Wohltuendste in meiner hoffnungslosen Sehnsucht nach meinem Kinde. Mit niemandem könnte ich mich über das, was er war und was man an ihm lieben musste, mehr verstehen als mit Ihnen.

Die in Wolfgangs Karten- und Geldtasche gefundenen zwei Feldpostkarten, die er wenige Tage vor seinem Tod von Käthe Hilbert erhielt, schickt Malvine Husserl mit den Worten an sie zurück: „Es wird Sie gewiss freuen, die beiden Karten zu besitzen, die unser geliebtes Kind bis zuletzt bei sich trug.” Auch Photographien werden geschickt, einige persönliche Andenken, wie eine Erkennungsmarke, „die er bis 8 Tage vor seinem Tod getragen hat”, und, wohl auf ausdrücklichen Wunsch von Käthe Hilbert, Abschriften seiner letzten Briefe an die Familie sowie Abschriften der Briefe von Vorgesetzten und von Soldatenkameraden, aus denen die näheren Umstände seines Todes hervorgehen. Da der größte Teil der privaten Korrespondenz der Husserls im 2. Weltkrieg beim Bombardement des Hafens von Antwerpen vernichtet wurde, wissen wir vom Inhalt dieser Briefe nur aus diesen dem Archiv erst kürzlich bekannt gewordenen Abschriften. In einem ihrer Briefe an Käthe Hilbert taucht auch jene „qualvolle Frage“ auf, die Malvine Husserl bis zum Lebensende beschäftigen wird:

Was hätte er uns, denen er zunächst stand, noch sein können, und wie viele fernere Menschen wären durch diese seltene Persönlichkeit beglückt worden <…>, wie viel Glück hätte er um sich verbreitet! Sie, liebe Frau Hilbert, wissen es nach mir am besten, denn Sie haben sein Herz <…> gekannt und geliebt wie einen Sohn.

Käthe Hilberts Erinnerungen an Wolfgang Husserl
Zum 70. Geburtstag ihrer Mutter sammelt die Tochter Erinnerungen an Wolfgang. Unter den Erwählten ist auch Käthe Hilbert, die sich von dieser Idee „so sympathisch berührt“ zeigt, wie sie Elisabeth Husserl schreibt, „dass ich mich gleich daran gemacht, Einiges aufzuschreiben. Und da erstand richtig Wolfgangs Bild vor mir in seiner liebenswürdigen und drolligen Unwiderstehlichkeit, ich bin Dir dankbar, dass Du mir dazu verholfen hast <…> “.

Vom unheilvollen Krieg will sie nichts schreiben, sie erinnert lieber an die „schönen Zeiten, als Wolfgang damals so viel kam“.